
Wie das Geburtshaus St.Gallen komplett auf Stoffwindeln umgestellt hat. Ein Gespräch mit Mirjam Kelemen, Hebamme, Gründerin & Mitglied der Geschäftsleitung vom Geburtshaus St.Gallen.
Das Geburtshaus St.Gallen gehört zu den wenigen geburtshilflichen Institutionen in der Schweiz, die ausschliesslich mit Stoffwindeln wickeln – und das seit über einem Jahr. Zur Stoffwindelwoche 2025 haben wir mit Mirjam, Hebamme, Gründerin und Mitglied der Geschäftsleitung, über die Beweggründe, Erfahrungen und Zukunftsvisionen gesprochen.
Mirjam, was hat euch zur vollständigen Umstellung auf Stoffwindeln bewogen?
Wir wollten das Thema Nachhaltigkeit nicht nur thematisieren, sondern leben. Eine Philosophie, die wir in allen Geschäftsbereichen gegen innnen und aussen vertreten. Halbherzig geht das nicht. Wenn wir zusätzlich Öko-Einwegwindeln anbieten, wird die Waschmaschine nicht richtig gefüllt – es geht organisatorisch nicht auf. Also haben wir es ausprobiert – und es hat funktioniert. Die Eltern schätzen es sehr, bei uns Stoffwindeln testen zu können. Zudem sind die heutigen Stoffwindeln sehr einfach im Handling, kein Vergleich mit früher
Welche Vorteile seht ihr heute – für euer Team, die Babys und die Eltern?
Der offensichtlichste Vorteil ist: Der Abfallberg fällt weg. Zudem werden die Neugeborenen mit Stoffwindeln automatisch *breiter gewickelt, was die Hüftentwicklung unterstützt – ganz ohne zusätzliche Spreizhose. Auch hygienisch macht es Sinn: Babys sollen nicht lange in ihren Ausscheidungen liegen. Stoffwindeln fördern oft ein früheres Trockenwerden. Und das Handling ist heute total unkompliziert – moderne Stoffwindeln lassen sich anziehen wie Einwegwindeln.
Ihr unterstützt auch das Abhalten. Wie passt das zu Stoffwindeln?
Perfekt! Wir zeigen den Eltern das Abhalten aktiv – Stoffwindeln passen da super dazu. Sie ermöglichen einen ganz anderen Umgang mit den Ausscheidungen des Babys. Das Wickeln wird bewusster.
Wie reagieren die werdenden Eltern auf das Stoffwindelangebot?
Sehr offen. Natürlich wickeln nicht alle nachher mit Stoff weiter, aber viele Eltern können bei uns im Geburtshaus erste Erfahrungen mit Stoffwindeln machen. Sie merken, wie einfach es eigentlich ist. Es baut Vorurteile ab und senkt die Hemmschwelle. Manchmal entsteht dann auch der Wunsch, sich später nochmals beraten zu lassen – etwa durch eine Stoffwindelberaterin.
Was denkst du, warum nutzen noch nicht mehr Institutionen oder Eltern Stoffwindeln?
Es gibt verschiedene Hürden:
Viele Eltern sind überfordert, möchten sich nicht noch in ein weiteres Thema einarbeiten. Auch die Anschaffungskosten schrecken ab – selbst wenn es langfristig günstiger wäre. Genau da setzt der Stoffwindelverein mit seinen vielfältigen Angeboten an: Leihpakete, Beratung, Workshops – für jeden Weg gibt es Unterstützung.
Ein Jahr Stoffwindeln im Geburtshaus – euer Fazit?
Wir würden es jederzeit wieder tun. Für die wenigen Tage, die Familien bei uns verbringen, ist es absolut machbar – und sinnvoll. Natürlich dürfen Eltern Einwegwindeln mitbringen, aber die Realität zeigt: Fast alle nutzen bei uns die Stoffwindeln.
Vielen Dank, liebe Mirjam – für eure Pionierarbeit, eure Haltung und euer Engagement. Wir wünschen euch weiterhin viele magische Geburten und liebevolle Begegnungen!
Interview mit Victoria Raffaele - freudenkind
Bild: Victoria Raffaele - freudenkind